Der Bundesgerichtshof

Verhandlungstermin am 16. Oktober 2025 um 11:00 Uhr in Sachen IX ZR 127/24 (Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG)

Ausgabejahr 2025
Erscheinungsdatum 14.04.2025

Nr. 072/2025

Der unter anderem für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat darüber zu entscheiden, ob Aktionäre einer insolventen Aktiengesellschaft mit ihren kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen aufgrund des Erwerbs der Aktien an der Verteilung der Insolvenzmasse als einfache Insolvenzgläubiger zu beteiligen sind oder nicht.

Sachverhalt:

Die Wirecard AG war eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Sie stellte am 25. Juni 2020 Insolvenzantrag. Das Amtsgericht München – Insolvenzgericht – eröffnete das Insolvenzverfahren am 25. August 2020 und bestellte den Beklagten zu 1 zum Insolvenzverwalter. Daraufhin meldeten ungefähr 50.000 Aktionäre der Wirecard AG Schadensersatzforderungen aufgrund des Erwerbs der Aktien in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle an. Insgesamt sind zusammen mit den Forderungsanmeldungen weiterer Gläubiger Forderungen in Höhe von rund 15,4 Milliarden Euro zur Tabelle angemeldet. Die Beklagte zu 2 ist die gemeinsame Vertreterin von Gläubigern einer von der Wirecard AG ausgegebenen Schuldverschreibung über 500 Mio. €. Die derzeit vorhandene Insolvenzmasse beträgt rund 650 Millionen Euro.

Die Klägerin ist eine deutsche Kapitalanlagegesellschaft. Sie kaufte im Zeitraum von 2015 bis zum 12. Juni 2020 Aktien der Wirecard AG auf dem Sekundärmarkt und verkaufte diese zum großen Teil wieder. Am 18. Juni 2020 hielt die Klägerin noch 73.345 Aktien der Wirecard AG. Sie meint, ihr stünden kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Wirecard AG zu. Die Wirecard AG habe insbesondere ein tatsächlich nicht vorhandenes Geschäftsmodell vorgetäuscht und über ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage getäuscht. Es liege eine vorsätzliche Insolvenzverschleppung vor. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte sie keine Aktien erworben. Dies begründe Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs der Aktien.

Die Klägerin meldete deshalb Ansprüche in Höhe von insgesamt 9.836.098,79 € als einfache Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zur Insolvenztabelle an. Im Prüfungstermin vom 15. April 2021 bestritten der Beklagte zu 1 und die Beklagte zu 2 die von der Klägerin angemeldeten Forderungen. Sie meinen insbesondere, dass es sich bei den Ansprüchen der Klägerin nicht um einfache Insolvenzforderungen handele. Aktionäre seien mit ihren Ansprüchen aus dem täuschungsbedingten Erwerb der Aktien nachrangig gegenüber den übrigen Insolvenzgläubigern. Ihre Forderungen seien nur zu berücksichtigen, soweit bei Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Überschuss vorhanden sei.

Die Klägerin hat Klage auf Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle erhoben. Der Beklagte zu 1 hat eine Zwischenfeststellungswiderklage erhoben, mit der er festgestellt wissen möchte, dass es sich bei den Forderungen der Klägerin um Ansprüche handelt, die allein im Rahmen einer Überschussverteilung nach § 199 Satz 2 InsO berücksichtigt werden können.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen haben die Klägerin und der Beklagte zu 1 Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin ein Zwischenurteil erlassen. Darin hat das Oberlandesgericht ausgesprochen, dass die Klage zulässig sei und die Klägerin ihre kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend machen könne.

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, wegen der Rangfrage der geltend gemachten Forderungen könne ein Zwischenurteil ergehen. Die kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüche der Klägerin seien Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Sie seien nicht in den Nach-Nachrang des § 199 Satz 2 InsO zu verweisen.

Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, der Beklagte zu 1 zudem seine Zwischenfeststellungswiderklage.

Vorinstanzen:

LG München I - Urteil vom 23.11.2022 - 29 O 7754/21

OLG München - Urteil vom 17.09.2024 - 5 U 7318/22 e

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 38 InsO Begriff der Insolvenzgläubiger

Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

§ 199 InsO Überschuss bei der Schlussverteilung

Können bei der Schlussverteilung die Forderungen aller Insolvenzgläubiger in voller Höhe berichtigt werden, so hat der Insolvenzverwalter einen verbleibenden Überschuss dem Schuldner herauszugeben. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so hat der Verwalter jeder am Schuldner beteiligten Person den Teil des Überschusses herauszugeben, der ihr bei einer Abwicklung außerhalb des Insolvenzverfahrens zustünde.

Karlsruhe, den 14. April 2025

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