Verhandlungstermin am 13. Mai 2025 um 11:30 Uhr in Sachen EnVR 83/20 (Kundenanlage gemäß § 3 Nr. 24a EnWG)
Ausgabejahr 2025
Erscheinungsdatum 11.04.2025
Nr. 071/2025
Nr. 71/2024
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Energieanlage eine Kundenanlage im Sinn von § 3 Nr. 24a EnWG darstellt.
Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie betreibt an mehreren Standorten unter anderem Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Nahwärmenetze und Energieanlagen zur Abgabe von Energie, mit denen sie Letztverbraucher mit Wärme und Strom versorgt. Die Antragsgegnerin ist eine Verteilernetzbetreiberin. Die Parteien streiten darüber, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, zwei Energieanlagen der Antragstellerin als Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG an ihr Netz anzuschließen.
Die Antragstellerin versorgte aufgrund eines Wärmelieferungsvertrags mit der Grundstückseigentümerin vier Wohnblöcke mit 96 Wohneinheiten, gelegen auf einer Fläche von 9.000 m², sowie sechs Wohnblöcke mit 160 Wohneinheiten, gelegen auf einer Fläche von 25.500 m², durch jeweils eine Energiezentrale und ein daran angeschlossenes Nahwärmenetz mit Wärme und Warmwasser. Die in den beiden Gebieten gelegenen Wohnblöcke waren sämtlich an das Verteilernetz der Antragsgegnerin angeschlossen.
2018 begann die Antragstellerin mit der Planung für die Errichtung und den Betrieb zweier Blockheizkraftwerke mit 20 kW und 40 kW elektrischer Leistung und zweier galvanisch getrennter elektrischer Leitungssysteme, an die die in den Wohnblöcken wohnenden Letztverbraucher (Mieter) angeschlossen werden sollten. Den in den Blockheizkraftwerken neben Wärme und Warmwasser erzeugten Strom wollte sie an die Mieter verkaufen. Sie meldete bei der Antragsgegnerin Netzanschlüsse für zwei getrennte Kundenanlagen mit Elektrohauptanschlüssen an und beantragte den Anschluss an deren Netz sowie die Bereitstellung der erforderlichen Zählpunkte gemäß § 20 Abs. 1d EnWG. Die Antragsgegnerin lehnte die Anträge ab, weil es sich nicht um Kundenanlagen handele.
Die bei der Landesregulierungsbehörde gestellten Anträge der Antragstellerin auf Überprüfung dieses Verhaltens und Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Anlagen als Kundenanlagen an ihr Netz anzuschließen und eine Abrechnung gemäß § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen, blieben erfolglos.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Oberlandesgericht hat die gegen die Entscheidung der Landesregulierungsbehörde gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin weiter.
Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 13. Dezember 2022 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2022 - EnVR 83/20, RdE 2023, 242).
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 28. November 2024 (C-293/23) entschieden:
Art. 2 Nrn. 28 und 29 sowie die Art. 30 bis 39 der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Unternehmen, das anstelle des bisherigen Verteilernetzes eine Energieanlage einrichtet und betreibt, um mit in einem Blockheizkraftwerk erzeugtem Strom mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1 000 MWh mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 Wohneinheiten zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage von den Letztverbrauchern getragen werden, die Mieter dieser Wohneinheiten sind, und dieses Unternehmen den erzeugten Strom an diese Verbraucher verkauft, sofern diese Anlage dazu dient, Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung weiterzuleiten, um sie an Kunden zu verkaufen und keine der in dieser Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen oder Freistellungen von diesen Verpflichtungen anwendbar ist, nicht den Verpflichtungen eines Verteilernetzbetreibers unterliegt.
Der Kartellsenat hat Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf Dienstag, 13. Mai 2025, 11:30 Uhr, anberaumt.
Vorinstanz:
OLG Dresden - Beschluss vom 16. September 2020 - Kart 9/19
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz)
§ 3 EnWG Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet […]
3. Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen
natürliche oder juristische Personen oder rechtlich unselbständige Organisationseinheiten eines Energieversorgungsunternehmens, die die Aufgabe der Verteilung von Elektrizität wahrnehmen und verantwortlich sind für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen,
[…]
15. Energieanlagen
Anlagen zur Erzeugung, Speicherung, Fortleitung oder Abgabe von Energie, soweit sie nicht lediglich der Übertragung von Signalen dienen, dies schließt die Verteileranlagen der Letztverbraucher […] ein,
16. Energieversorgungsnetze
Elektrizitätsversorgungsnetze und Gasversorgungsnetze über eine oder mehrere Spannungsebenen oder Druckstufen mit Ausnahme von Kundenanlagen im Sinne der Nummern 24a […],
18. Energieversorgungsunternehmen
natürliche oder juristische Personen, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzen; der Betrieb einer Kundenanlage oder einer Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung macht den Betreiber nicht zum Energieversorgungsunternehmen,
[…]
24a. Kundenanlagen
Energieanlagen zur Abgabe von Energie,
a)
[in der bis zum 16. Mai 2024 geltenden Fassung]:
die sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befinden,
[in der ab dem 17. Mai 2024 geltenden Fassung]:
die sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befinden oder bei der durch eine Direktleitung nach Nummer 12 mit einer maximalen Leitungslänge von 5 000 Metern und einer Nennspannung von 10 bis einschließlich 40 Kilovolt Anlagen nach § 3 Nummer 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes angebunden sind,
b) mit einem Energieversorgungsnetz oder mit einer Erzeugungsanlage verbunden sind,
c) für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend sind und
d) jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung unabhängig von der Wahl des Energielieferanten diskriminierungsfrei und unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden,
[…]
§ 20 Abs. 1d EnWG
[…]
Der Betreiber des Energieversorgungsnetzes, an das eine Kundenanlage […] angeschlossen ist, hat den Zählpunkt zur Erfassung der durch die Kundenanlage aus dem Netz der allgemeinen Versorgung entnommenen und in das Netz der allgemeinen Versorgung eingespeisten Strommenge (Summenzähler) sowie alle Zählpunkte bereitzustellen, die für die Gewährung des Netzzugangs für Unterzähler innerhalb der Kundenanlage im Wege der Durchleitung (bilanzierungsrelevante Unterzähler) erforderlich sind. Bei der Belieferung der Letztverbraucher durch Dritte findet im erforderlichen Umfang eine Verrechnung der Zählwerte über Unterzähler statt. […]
Richtlinie 2019/944
Artikel 2 Begriffsbestimmung
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. "Kunde" einen Großhändler bzw. Endkunden, der Elektrizität kauft;
[…]
7. "Kleinunternehmen" ein Unternehmen, das weniger als 50 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz bzw. -bilanzsumme 10 Mio. EUR nicht überschreitet;
[…]
11. "Bürgerenergiegemeinschaft" eine Rechtsperson,
a) [die] auf freiwilliger und offener Mitgliedschaft beruht und von Mitgliedern oder Anteilseignern, bei denen es sich um natürliche Personen, Gebietskörperschaften, einschließlich Gemeinden, oder Kleinunternehmen handelt, tatsächlich kontrolliert wird;
b) deren Hauptzweck nicht in der Erwirtschaftung finanzieller Gewinne besteht, sondern darin, ihren Mitgliedern oder Anteilseignern oder den lokalen Gebieten, in denen sie tätig ist, Umwelt-, Wirtschafts- oder soziale Gemeinschaftsvorteile zu bieten; und
c) die in den Bereichen Erzeugung, einschließlich aus erneuerbaren Quellen, Verteilung, Versorgung, Verbrauch, Aggregierung, Energiespeicherung, Energieeffizienzdienstleistungen oder Ladedienstleistungen für Elektrofahrzeuge tätig sein oder andere Energiedienstleistungen für seine Mitglieder oder Anteilseigner erbringen kann;
12. "Versorgung" den Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von Elektrizität an Kunden;
[…]
28. "Verteilung" den Transport von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung über Verteilernetze zum Zwecke der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;
29. "Verteilernetzbetreiber" eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Verteilernetzes in einem bestimmten Gebiet und, sofern vorhanden, der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Verteilung von Elektrizität zu decken; […]
Art. 30 Benennung von Verteilernetzbetreibern
Die Mitgliedstaaten oder von diesen dazu aufgeforderte Unternehmen, die Eigentümer von Verteilernetzen oder die für diese verantwortlich sind, benennen für einen Zeitraum, den die Mitgliedstaaten unter Effizienzerwägungen und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse festlegen, einen oder mehrere Verteilernetzbetreiber.
Karlsruhe, den 11. April 2025
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Ergänzende Dokumente
Beschluss des Kartellsenats vom 25.1.2022 - EnVR 83/20 -
Beschluss des Kartellsenats vom 13.12.2022 - EnVR 83/20 -