Verhandlungstermin am 18. Februar 2025, 9.30 Uhr, in Sachen VI ZR 64/24 (Haftung des Betreibers eines sozialen Netzwerks für von seinen Nutzern eingestellte rechtswidrige Inhalte)
Ausgabejahr 2025
Erscheinungsdatum 06.02.2025
Nr. 027/2025
Der VI. Zivilsenat verhandelt am 18. Februar 2025 über wechselseitige Revisionen, in denen sich die Frage stellt, welche Ansprüche gegen den Betreiber eines sozialen Netzwerks Betroffenen zustehen, über die auf der Plattform dieses Netzwerks falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet werden.
Die Klägerin ist Politikerin und Bundestagsabgeordnete. Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. In diesem Netzwerk kursierte ein Meme ("Ausgangs-Meme"), das das Bildnis der Klägerin, ihren Vor- und Nachnamen, den Namen ihrer Partei sowie die Äußerung enthielt "Integration fängt damit an, dass sie als Deutscher mal türkisch lernen." Diese Aussage hat die Klägerin nie getätigt. Das Meme hat sich auf der Plattform der Beklagten durch Hochladen ("Uploads") und durch die Funktion "Teilen" verbreitet. Es wurde und wird unter unterschiedlichen URLs und in verschiedenen Varianten veröffentlicht. Die Memes sind teilweise mit "Captions" versehen, das heißt mit Kommentaren von Nutzern, die - in den von der Klägerin aufgezeigten Beispielsfällen - überwiegend Beschimpfungen der Klägerin enthalten. Memes, die dem Ausgangs-Meme ähnlich sind, lassen sich automatisiert auffinden. Die Sinndeutung insbesondere von Memes mit Captions danach, ob sie mit dem Ausgangs-Meme "kerngleich" sind - also ebenfalls den Eindruck vermitteln, die Klägerin habe die zitierte Äußerung getätigt - lässt sich jedenfalls nicht in einem rein automatisierten Verfahren vornehmen.
Die Klägerin hat die Beklagte unter Nennung der jeweiligen konkreten Speicherorte (URLs) auf das Ausgangs-Meme sowie auf acht weitere sinngleiche Memes hingewiesen und belegt, dass es sich bei dem Zitat um ein Falschzitat handelt. Diese Memes hat die Beklagte nach und nach entfernt; sie sind nicht (mehr) Gegenstand der Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stehe gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich aller bis zur Rechtskraft des Urteils auf Facebook vorhandenen Memes zu, die mit dem Ausgangs-Meme identisch oder "kerngleich" sind, ohne dass sie der Beklagten die URLs dieser Memes mitteilen müsse; denn dies sei ihr nicht möglich und nicht zumutbar. Mit der Klage hat sie neben der Unterlassung ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 € verlangt. Die Beklagte ist der Auffassung, sie hafte als neutrale Hosting-Anbieterin nur für konkret bezeichnete Beiträge. In Fällen ohne sehr hohe Übereinstimmung der Hashwerte und insbesondere bei Nutzerkommentaren (Captions) sei eine manuelle Prüfung des Beitrags auf dessen Sinngehalt erforderlich, zu der sie nicht verpflichtet sei.
Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts insoweit abgeändert, als es die Klage auf Schmerzensgeld abgewiesen hat; die Verurteilung zur Unterlassung hat es dagegen bestätigt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin verlangt mit ihrer (Anschluss-)Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, also auch die Zuerkennung von Schmerzensgeld.
Die Vorinstanzen und die Parteien sind bislang davon ausgegangen, dass sich die rechtliche Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche nach nationalem Recht, nämlich nach § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1 BGB richte. Der VI. Zivilsenat hat die Parteien darauf hingewiesen, dass sich die Frage stellt, ob die Klägerin ihre Ansprüche auf Art. 17 und Art. 82 DSGVO stützen könnte und welche Bedeutung dem Digital Services Act (insbesondere Art. 6 Abs. 4 und Art. 8 DSA) in diesem Zusammenhang zukommt.
Mit der Frage, ob der Betreiber eines sozialen Netzwerks bei ihm gespeicherte Informationen zu entfernen hat, die den wort- oder sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, hat sich - allerdings vor Inkrafttreten des Digital Services Act - der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 3. Oktober 2019 - C-18/18 (NJW 2019, 3287) befasst.
Vorinstanzen:
LG Frankfurt a.M. - Entscheidung vom 8. April 2022 - 2-03 O 188/21
OLG Frankfurt a.M. - Entscheidung vom 25. Januar 2024 - 16 U 65/22
Karlsruhe, den 6. Februar 2025
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