Bundesgerichtshof ordnet Fortdauer der Untersuchungshaft gegen Angeschuldigten wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Volksrepublik Donezk" (VRD) an
Ausgabejahr 2024
Erscheinungsdatum 18.11.2024
Nr. 217/2024
Beschluss vom 30. Oktober 2024 - AK 86/24
Der für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Sechs-Monats-Haftprüfung entschieden, dass die Untersuchungshaft gegen einen deutsch-russischen Angeschuldigten fortzudauern hat (§§ 121, 122 StPO). Der Angeschuldigte war im April 2024 auf der Grundlage eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs festgenommen worden.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich in dem Zeitraum von Dezember 2014 bis September 2016 durch dieselbe Handlung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) und zudem eine schwere staatsgefährdende Gewalttat (§ 89a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB) begangen.
Der 3. Strafsenat hat nach den von den Ermittlungsbehörden bisher gewonnenen Erkenntnissen folgenden Sachverhalt als hochwahrscheinlich erachtet:
Die "Volksrepublik Donezk" (VRD) ist eine im Frühjahr 2014 entstandene Organisation, die mittels paramilitärischer Verbände, wie der im Frühsommer 2014 gegründeten "Pyatnashka Brigade", gegen das ukrainische Militär kämpfte und dabei den Tod ukrainischer Soldaten in Kauf nahm, um die Herrschaft über ein von ihr beanspruchtes Gebiet im Osten der Ukraine zu erlangen. Dabei führte die VRD militärische Operationen unter Einsatz von schweren Waffen durch. Auf beiden Seiten kamen neben Kämpfern zahlreiche Zivilisten ums Leben. Im Dezember 2014 reiste der Angeschuldigte in die Ostukraine ein und schloss sich dort der "Pyatnashka Brigade" an. Der Angeschuldigte und seine Einheit kämpften auf dem Gebiet des ukrainischen Verwaltungsbezirks Donezk, unter anderem am dortigen Flughafen sowie in der Kleinstadt Marinka. Bei seinen Einsätzen führte er jeweils eine Schusswaffe mit sich. Darüber hinaus waren der Angeschuldigte sowie die Angehörigen der "Pyatnashka Brigade" mit Sturmgewehren, Panzerfäusten und Nachtsichtgeräten ausgerüstet.
Der 3. Strafsenat hat den dringenden Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeschuldigten an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und des Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bejaht. Der Umstand, dass sich die Verantwortlichen der VRD als Organe eines Staates gerierten und als "Volksrepublik" bezeichneten, lässt die Bewertung als terroristische Vereinigung nicht entfallen. Bei der in diesem Verfahrensstadium gebotenen vorläufigen Betrachtung hat der 3. Strafsenat angenommen, dass der VRD im Tatzeitraum keine eigene Staatlichkeit zukam.
Nach seiner Entscheidung lagen auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft vor. Bei dem Angeschuldigten waren die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität gegeben.
Der Generalbundesanwalt hat zwischenzeitlich Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben (siehe Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 31. Oktober 2024).
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
Strafgesetzbuch
§ 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
(1) 1Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. 2Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
(2) Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er
1. […]
2. Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder
3. […]
(2a) […]
(3) 1Absatz 1 gilt auch, wenn die Vorbereitung im Ausland begangen wird. 2Wird die Vorbereitung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.
(4) […]
§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen
(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,
1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
[…]
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.
[…]
§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung
(1) 1Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. 2Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. 3In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt.
[…]
Strafprozessordnung
§ 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe
(1) 1Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. 2Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
1. […]
2. bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3. […]
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
§ 121 Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate
(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.
(2) […]
(3) […]
(4) 1In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. 2In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.
Karlsruhe, den 18. November 2024
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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