Der Bundesgerichtshof

Verhandlungstermin am 8. Oktober 2024 um 10.30 Uhr in Sachen VI ZR 7/24 und VI ZR 22/24 (Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim sozialen Netzwerk Facebook, sog. Scraping)

Ausgabejahr 2024
Erscheinungsdatum 22.05.2024

Nr. 115/2024

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus der Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat verhandelt am 8. Oktober 2024 über zwei Revisionen, in denen sich die Frage stellt, welche Ansprüche Betroffenen zustehen, deren Daten im Rahmen eines sog. Scrapings von unbekannten Dritten erlangt und im Internet verbreitet wurden.

VI ZR 22/24

Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten luden mit Hilfe automatisierter Tools über die Kontakt-Import-Funktion der Beklagten in großem Umfang Telefonnummern hoch, führten diese, sofern sie mit einem Nutzerkonto verknüpft waren, mit den dort verbundenen öffentlich zugänglichen Daten zusammen und griffen diese Daten sodann ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Land und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise auch mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung der Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Er habe Ängste, Stress, Komfort- und Zeiteinbußen erlitten. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch. Die Beklagte hat die geltend gemachten Ansprüche abgelehnt, weil weder ein Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung vorliege noch dem Kläger ein kausaler Schaden entstanden sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten entstanden sind und/oder noch entstehen werden. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Im Umfang der Berufungszurückweisung verfolgt der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision seine ursprünglich geltend gemachten Ansprüche weiter.

VI ZR 7/24

In dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Fall macht ein weiterer Kläger geltend, im Rahmen seiner Nutzung des sozialen Netzwerks Facebook seien durch unbekannte Dritte im Wege des Scrapings persönliche Daten (Telefonnummer, Facebook-ID, Name, Wohnort, Land und Arbeitgeber) abgeschöpft und im Darknet veröffentlicht worden. Er begehrt den Ersatz immateriellen Schadens, weil die Beklagte in mehrfacher Hinsicht gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstoßen und seine Daten nicht ausreichend geschützt habe. Er habe einen erheblichen Kontrollverlust über seine Daten erlitten und verbleibe in einem Zustand großen Unwohlseins und großer Sorge über den Missbrauch seiner Daten. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang alle künftigen Schäden zu ersetzen, und macht weitere Unterlassungs- und Auskunftsansprüche geltend.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Vorinstanzen:

VI ZR 22/24

LG Heilbronn - Urteil vom 3. März 2023 - 1 O 27/22

OLG Stuttgart - Urteil vom 13. Dezember 2023 - 4 U 51/23

VI ZR 7/24

LG Köln - Urteil vom 31. Mai 2023 - 28 O 138/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 108/23

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Artikel 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Auskunftsrecht der betroffenen Person

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:

(…)

c) die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen;

(…)

Artikel 17 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Recht auf Löschung ("Recht auf Vergessenwerden")

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a) Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.

b) Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.

c) Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d) Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

e) Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt.

f) Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben.

(2) Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat.

(…)

Artikel 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(2) Jeder an einer Verarbeitung beteiligte Verantwortliche haftet für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung verursacht wurde. Ein Auftragsverarbeiter haftet für den durch eine Verarbeitung verursachten Schaden nur dann, wenn er seinen speziell den Auftragsverarbeitern auferlegten Pflichten aus dieser Verordnung nicht nachgekommen ist oder unter Nichtbeachtung der rechtmäßig erteilten Anweisungen des für die Datenverarbeitung Verantwortlichen oder gegen diese Anweisungen gehandelt hat.

(…)

§ 823 BGB - Schadensersatzpflicht

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

§ 1004 BGB - Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Karlsruhe, den 22. Mai 2024

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