Der Bundesgerichtshof

Verhandlungstermin am 17. November 2023 um 9.30 Uhr, Saal E101, in Sachen V ZR 191/22 (Erbbaurechtlicher Heimfallanspruch wegen nicht fristgerechter Fertigstellung einer Moschee?)

Ausgabejahr 2023
Erscheinungsdatum 23.10.2023

Nr. 174/2023

Der unter anderem für das Erbbaurecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verhandelt über ein Verfahren, in dem u.a. zu klären ist, ob eine Kommune, die einem religiösen Verein ein Erbbaurecht zwecks Errichtung einer Moschee bestellt hat, wegen nicht fristgerechter Fertigstellung des Bauwerks die Rückübertragung des Erbbaurechts verlangen kann.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine Stadt in Baden-Württemberg, der Beklagte ein gemeinnütziger Verein, dessen Zweck darin besteht, Menschen islamischen Glaubens soziale, kulturelle und religiöse Dienste anzubieten. Um ihren muslimischen Bürgern die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee ermöglichen, vereinbarte die Klägerin mit dem Beklagten, dass dieser ein Grundstück der Klägerin in einem ersten Bauabschnitt mit einer Moschee und einem Kulturhaus bebauen sollte. Die Parteien schlossen am 26. November 2014 eine insgesamt als Erbbaurechtsvertrag bezeichnete notarielle Vereinbarung, mit der die Klägerin dem Beklagten für die Dauer von 60 Jahren und einer Verlängerungsmöglichkeit von weiteren 30 Jahren ein Erbbaurecht an ihrem Grundstück einräumte. Es wurde ein gestaffelter Erbbauzins vereinbart von anfänglich 35.336 € jährlich ab dem 1. Juli 2017. Der Beklagte verpflichtete sich, den ersten Bauabschnitt innerhalb von vier Jahren ab dem 1. November 2014 fertigzustellen. Anderenfalls sollte die Klägerin berechtigt sein, die Rückübertragung des Erbbaurechts zu verlangen (Heimfall). Eine Vergütung für das Erbbaurecht wurde für diesen Fall vertraglich ausgeschlossen, und der Beklagte sollte auf Verlangen der Klägerin verpflichtet sein, die Moschee und das Kulturhaus auf eigene Kosten zu beseitigen. In dem Vertrag unterbreitete die Klägerin dem Beklagten ein Kaufangebot für das Grundstück, das mit einer gleichlautenden Bauverpflichtung verknüpft war. Insoweit behielt sich die Klägerin für den Fall der Nichterfüllung ein Wiederkaufsrecht vor. Das Erbbaurecht wurde in das Erbbaugrundbuch eingetragen. Die Baugenehmigung wurde erteilt, Baubeginn und Bauausführung verzögerten sich jedoch. Im Juli 2018 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er die Frist für die Fertigstellung des ersten Bauabschnitts nicht werde einhalten können. Im August 2018 nahm er das Kaufangebot für das Grundstück an und zahlte den vereinbarten Kaufpreis. Der erste Bauabschnitt war bis Ende Oktober 2018 nicht fertiggestellt. Im Dezember 2018 machte die Klägerin den Heimfallanspruch geltend und übte das Wiederkaufsrecht aus.

Bisheriger Prozessverlauf:

Mit der Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten die Rückübertragung des Erbbaurechts, hilfsweise dessen Aufhebung, ferner die Versicherung der Moschee gegen Brand- und Elementarschäden und die Zahlung von Erbbauzinsen in Höhe von 110.425 € für den Zeitraum 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2021. Der Beklagte nimmt die Klägerin widerklagend auf Übereignung des Grundstücks in Anspruch; daneben begehrt er die Feststellung, dass er nicht zur Zahlung von Erbbauzinsen verpflichtet ist, die Ausübung des Wiederkaufsrechts rechtswidrig und unwirksam ist und die Klägerin ihm den durch die Ausübung des Heimfallanspruchs und Wiederkaufsrechts entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Das Landgericht hat der Klage nur in Bezug auf die Rückübertragung des Erbbaurechts und die Zahlung von 110.425 € (als Verzugsschadensersatz) und der Widerklage nur in Bezug auf die Feststellung stattgegeben, dass der Beklagte nicht zur Zahlung vertraglich vereinbarter Erbbauzinsen verpflichtet ist; im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht den Beklagten darüber hinaus zur Versicherung der Moschee verurteilt und die Widerklage insgesamt abgewiesen; die Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag und seine Widerklageanträge weiter.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin gegen den Beklagten wegen dessen Verstoßes gegen die Bauverpflichtung einen vertraglichen Anspruch auf Rückübertragung des Erbbaurechts. Die Klägerin habe ihr Wiederkaufsrecht und den Heimfallanspruch wirksam ausgeübt. Zwar verstoße der Ausschluss der Heimfallvergütung in einem städtebaulichen Vertrag gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung aus § 11 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Dies führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Heimfallregelung oder gar des gesamten Vertrages. Denn es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Unwirksamkeit dieser Klausel nicht oder dann ohne die Vereinbarung über den Heimfall abgeschlossen hätten. An die Stelle der unwirksamen Klausel trete die gesetzliche Regelung in § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG, nach der eine angemessene Vergütung für das Erbbaurecht zu gewähren sei. Grundrechte des Beklagten aus Art. 4 oder Art. 14 GG stünden der Wirksamkeit der Bauverpflichtung, des Wiederkaufsrechts und der Heimfallvereinbarung nicht entgegen, denn sie vermittelten dem Beklagten keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Überlassung des Grundstücks. Mit der Geltendmachung des Heimfallanspruchs verstoße die Klägerin nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Indem sie ihren muslimischen Bürgern zeitnah die Ausübung ihres Glaubens in einer Moschee ermöglichen und eine Bauruine vermeiden wolle, verfolge sie einen legitimen Zweck, zu dessen Erreichung der Heimfall geeignet und erforderlich sei. Die Geltendmachung des Heimfallanspruchs bedeute auch keine unzumutbare Härte für den Beklagten, da dieser durch die Heimfallvergütung die Möglichkeit habe, an anderer Stelle eine Gebetsmöglichkeit für seine Mitglieder zu schaffen.

Der Klägerin stehe gegen den Beklagten auch ein vertraglicher Anspruch auf Zahlung von Erbbauzinsen in Höhe von 110.425 € für den Zeitraum ab 2019 zu. Die Parteien hätten zwar vereinbart, dass der Beklagte nach Annahme des Kaufangebots der Klägerin den Erbbauzins nur bis zur Besitzübergabe (mit vollständiger Kaufpreiszahlung) zu zahlen habe. Die Auslegung dieser vertraglichen Regelung ergebe aber, dass dies nur gelte, wenn und solange der Kaufvertrag wirksam bestehe und der Beklagte Besitzrechte aus ihm ableiten könne. Dies sei seit der wirksamen Ausübung des Wiederkaufsrechts durch die Klägerin im Dezember 2018 nicht mehr der Fall. Ab diesem Zeitpunkt beruhe der Besitz des Beklagten an dem Grundstück wieder auf dem Erbbaurecht und habe der Beklagte dementsprechend den vereinbarten Erbbauzins an die Klägerin zu zahlen.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart - Urteil vom 28. September 2021 - 17 O 1045/18

OLG Stuttgart - Urteil vom 13. September 2022 - 10 U 278/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Baugesetzbuch (BauGB):

§ 11 Städtebaulicher Vertrag

(1) 1Die Gemeinde kann städtebauliche Verträge schließen. (…)

(2) 1Die vereinbarten Leistungen müssen den gesamten Umständen nach angemessen sein. (…)

Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG):

§ 32 [Vergütung für das Erbbaurecht]

(1) 1Macht der Grundstückseigentümer von seinem Heimfallanspruche Gebrauch, so hat er dem Erbbauberechtigten eine angemessene Vergütung für das Erbbaurecht zu gewähren. 2Als Inhalt des Erbbaurechts können Vereinbarungen über die Höhe dieser Vergütung und die Art ihrer Zahlung sowie ihre Ausschließung getroffen werden.

(2) 1Ist das Erbbaurecht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses minderbemittelter Bevölkerungskreise bestellt, so darf die Zahlung einer angemessenen Vergütung für das Erbbaurecht nicht ausgeschlossen werden. 2Auf eine abweichende Vereinbarung kann sich der Grundstückseigentümer nicht berufen. 3Die Vergütung ist nicht angemessen, wenn sie nicht mindestens zwei Dritteile des gemeinen Wertes des Erbbaurechts zur Zeit der Übertragung beträgt.

Karlsruhe, den 23. Oktober 2023

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