Verhandlungstermin am 23. Oktober 2018, 9.00 Uhr, in Sachen VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17 (Arzthaftung nach Lebendorganspende)
Ausgabejahr 2018
Erscheinungsdatum 27.08.2018
Nr. 142/2018
Verfahren VI ZR 495/16:
Die Klägerin spendete ihrem an einer chronischen Niereninsuffizienz auf dem Boden einer Leichtkettenerkrankung leidenden Vater im Februar 2009 eine Niere. Im Mai 2014 kam es zum Transplantatverlust beim Vater. Die Klägerin behauptet, infolge der Organspende an einem chronischen Fatigue-Syndrom und an Niereninsuffizienz zu leiden und macht eine formal wie inhaltlich ungenügende Aufklärung geltend.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Zwar hätten die Beklagten, ein Universitätsklinikum und dort tätige Ärzte, gegen verfahrensrechtliche Vorgaben aus § 8 Abs. 2 TPG (2007) verstoßen, weil weder eine ordnungsgemäße Niederschrift über das Aufklärungsgespräch gefertigt noch das Aufklärungsgespräch in Anwesenheit eines neutralen Arztes durchgeführt worden sei. Doch führe dieser formale Verstoß nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Klägerin in die Organentnahme. Eine Haftung der Beklagten folge auch nicht aus der inhaltlich unzureichenden Risikoaufklärung. Denn es greife der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung, da die Klägerin nicht plausibel dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte.
Verfahren VI ZR 318/17:
Der Kläger spendete seiner an Niereninsuffizienz leidenden und dialysepflichtigen Ehefrau im August 2010 ebenfalls eine Niere. Der Kläger behauptet, die Organentnahme sei wegen eigener Vorerkrankung kontraindiziert gewesen. Seit der Organentnahme leide er an einem chronischen Fatigue-Syndrom. Die Risikoaufklärung sei formal wie inhaltlich unzureichend gewesen.
Das Landgericht hat die auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Behandlungsfehler lägen nicht vor. Etwaige formale Verstöße gegen § 8 Abs. 2 TPG (2007) begründeten keine Haftung. Eine solche folge auch nicht aus der inhaltlich fehlerhaften Risikoaufklärung, da der Kläger selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt hätte.
Mit den vom VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihre Schadensersatzansprüche weiter.
Vorinstanzen:
VI ZR 495/16:
Oberlandesgericht Hamm – Urteil vom 7. September 2016 – I-3 U 6/16
Landgericht Essen – Urteil vom 2. November 2015 – 1 O 279/13
und
VI ZR 318/17:
Oberlandesgericht Hamm – Urteil vom 5. Juli 2017 – I-3 U 172/16
Landgericht Essen – Urteil vom 5. September 2016 – 1 O 262/13
Die maßgeblichen Vorschriften des Transplantationsgesetzes in der Fassung von 2007 (TPG 2007) lauten:
Abschnitt 3. Entnahme von Organen und Geweben bei lebenden Spendern
§ 8 Entnahme von Organen und Geweben
(1) Die Entnahme von Organen oder Geweben zum Zwecke der Übertragung auf andere ist bei einer lebenden Person (…) nur zulässig, wenn
1.die Person (…)
b) nach Absatz 2 Satz 1 und 2 aufgeklärt worden ist und in die Entnahme eingewilligt hat,
c) nach ärztlicher Beurteilung als Spender geeignet ist und voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird,
2. die Übertragung des Organs oder Gewebes auf den vorgesehenen Empfänger nach ärztlicher Beurteilung geeignet ist, das Leben dieses Menschen zu erhalten oder bei ihm eine schwerwiegende Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Beschwerden zu lindern, (…)
Die Entnahme einer Niere, des Teils einer Leber oder anderer nicht regenerierungsfähiger Organe ist darüber hinaus nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen.
(2) Der Spender ist durch einen Arzt in verständlicher Form aufzuklären über (…)
3. die Maßnahmen, die dem Schutz des Spenders dienen, sowie den Umfang und mögliche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen der beabsichtigten Organ- oder Gewebeentnahme für seine Gesundheit, (…)
5. die zu erwartende Erfolgsaussicht der Organ- oder Gewebeübertragung und sonstige Umstände, denen er erkennbar eine Bedeutung für die Spende beimisst (…),
Der Spender ist darüber zu informieren, dass seine Einwilligung Voraussetzung für die Organ- oder Gewebeentnahme ist. Die Aufklärung hat in Anwesenheit eines weiteren Arztes, für den § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 entsprechend gilt, und, soweit erforderlich, anderer sachverständiger Personen zu erfolgen. Der Inhalt der Aufklärung und die Einwilligungserklärung des Spenders sind in einer Niederschrift aufzuzeichnen, die von den aufklärenden Personen, dem weiteren Arzt und dem Spender zu unterschreiben ist. (…)
Abschnitt 2. Entnahme von Organen und Geweben bei toten Spendern
§ 5 Nachweisverfahren
(…)
(2) Die an den Untersuchungen nach Absatz 1 beteiligten Ärzte dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe des Spenders beteiligt sein. Sie dürfen auch nicht Weisungen eines Arztes unterstehen, der an diesen Maßnahmen beteiligt ist. (…)
Karlsruhe, den 27. August 2018
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
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