Pressemitteilung 128/2004 des Bundesgerichtshofes
Ausgabejahr 2004
Erscheinungsdatum 04.11.2004
Nr. 128/2004
Bundesgerichtshof zu Entschädigungsansprüchen eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt
Der für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte über die Frage zu befinden, unter welchen Voraussetzungen einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt zustehen kann.
Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe in der JVA Amberg. Am 3. Juli 2002 wurde er für eine Besuchszusammenführung in die JVA Bielefeld-Brackwede 1 verlegt. Vom 10. bis 12. Juli 2002 befand er sich als sogenannter Durchgangsgefangener in der Transportabteilung der JVA Hannover. Er war in einem 16 qm großen Haftraum mit vier weiteren Gefangenen untergebracht. Der Raum war mit einem Etagenbett, drei Einzelbetten, fünf Stühlen, zwei Tischen und zwei Spinden ausgestattet. Ein Waschbecken und eine Toilette waren mit einem Sichtschutz abgetrennt. Die Inhaftierten durften den Haftraum täglich für eine Stunde zum Hofgang verlassen.
Auf Antrag des Klägers stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover die Rechtswidrigkeit der Unterbringung fest. Die gemeinsame Unterbringung von fünf Gefangenen in einem nachts verschlossenen, 16 qm großen Haftraum bei Abtrennung der Toilette nur mit einem Sichtschutz sei unzulässig und verstoße gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung.
Im vorliegenden Amtshaftungsprozeß hat der Kläger das beklagte Land Niedersachsen auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung (mindestens 200 €) in Anspruch genommen. Das Oberlandesgericht Celle hat die Klage abgewiesen. Die zugelassene Revision des Klägers blieb erfolglos.
Der III. Zivilsenat hat zwar in Übereinstimmung mit beiden Vorinstanzen festgestellt, daß die Unterbringung des Klägers gemeinsam mit vier weiteren Gefangenen in dem viel zu kleinen Haftraum rechtswidrig gewesen war sowie gegen das Gebot der menschenwürdigen Behandlung Strafgefangener verstoßen hatte und daß die zuständigen Amtsträger des beklagten Landes dadurch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung gegenüber dem Kläger begangen haben. Gleichwohl war unter den hier vorliegenden besonderen Umständen des Falles die Zuerkennung einer Entschädigung für die zweitägige Unterbringung in dem gemeinschaftlichen Haftraum aus Gründen der Billigkeit weder unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion geboten. Zwischen der Feststellung einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) einerseits und der Zuerkennung einer Geldentschädigung andererseits besteht kein zwingendes Junktim. Zwar trifft es zu, daß dem Recht auf Achtung der Menschenwürde in der Verfassung ein Höchstwert zukommt; es ist das tragende Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte. Dementsprechend steht dem Gefangenen in jedem Falle das Recht zu, diese Rechtsverletzung mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen des Strafvollzugsgesetzes anzugreifen. Diesen Weg hatte der Kläger hier auch erfolgreich beschritten. Die solchermaßen festgestellte Menschenrechtsverletzung fordert indessen nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung. Der III. Zivilsenat sah vielmehr keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, daß die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Dies hängt insoweit nicht anders als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, auch wenn die Erheblichkeitsschwelle bei Verletzung der Menschenwürde generell niedriger anzusetzen ist insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlaß und Beweggrund des handelnden Amtsträgers sowie von dem Grad seines Verschuldens ab. Auch im Anwendungsbereich der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheit (EMRK) ist anerkannt, daß eine eine Wiedergutmachung durch Geldersatz fordernde unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Artikels 3 EMRK nur und erst vorliegt, wenn sie ein Mindestmaß an Schwere erreicht.
Im vorliegenden Fall hatte das Berufungsgericht festgestellt, die räumlichen Verhältnisse, unter denen der Kläger untergebracht gewesen sei, seien zwar menschenunwürdig gewesen. Jedoch mache der Kläger selbst nicht geltend, daß der nur zwei Tage andauernde rechtswidrige Zustand ihn seelisch oder körperlich nachhaltig belastet habe. Vielmehr habe der Kläger über die mit den räumlichen Verhältnissen unvermeidlich verbundenen Belästigungen und Unannehmlichkeiten hinaus keine Beeinträchtigungen seines körperlichen oder seelischen Wohles erlitten. Dem Mißstand habe zudem keine schikanöse Absicht, sondern eine akute, aus der Überbelegung resultierende Zwangslage zugrunde gelegen. Eingriffsintensität und Verschulden seien insgesamt als gering zu bewerten. Zudem habe der Kläger bereits durch die von der Strafvollstreckungskammer getroffene Feststellung der Rechtswidrigkeit Schutz und Genugtuung erfahren.
Diese Feststellungen waren weder nach ihrem Inhalt noch nach den ihnen zugrundeliegenden Beurteilungskriterien in die das Berufungsgericht auch ein etwaiges Organisationsverschulden des beklagten Landes einbezogen hatte revisionsrechtlich zu beanstanden.
BGH, Urteil vom 4. November 2004 III ZR 361/03
Karlsruhe, den 4. November 2004
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501