I. Zivilsenat: Karikatur des Bundesadlers im Focus keine Urheberrechtsverletzung
Ausgabejahr 2003
Erscheinungsdatum 21.03.2003
Nr. 41/2003
Nr. 41/2003
Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat entschieden, daß eine urheberrechtliche geschützte Darstellung des Bundesadlers im Rahmen der Berichterstattung verfremdet dargestellt werden darf.
Beanstandet war eine bildliche Darstellung des Bundesadlers in einem Artikel des Magazins "Focus" aus dem Jahre 1999. Unter der Überschrift "Der 'unseriöse' Staat" prangerte der Artikel einen angeblichen Mißbrauch des Steuerrechts durch den Gesetzgeber an; das Steuerrecht werde immer häufiger dazu benutzt, "hastig Steuerlöcher zu stopfen". Diesem Artikel war die farbige Darstellung eines Bundesadlers vorangestellt, der mit böse-gierigem Blick einen Bündel von Geldscheinen in einer Kralle hält. Als Vorlage hatte dabei der von Ludwig Gies 1953 geschaffene Bundesadler gedient, der seit 1955 bis zu seinem Neubau an der Stirnseite des Plenarsaals des Deutschen Bundestags in Bonn gehangen hatte. Auch der heute im Reichstag hängende Bundesadler geht auf den Gies-Adler zurück.
Im vorliegenden Verfahren wandten sich die von der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst vertretenen Erben des Künstlers gegen die Verwendung des Kunstwerks. Das Landgericht Köln hatte der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht Köln hatte alle Voraussetzungen einer Urheberrechtsverletzung als gegeben angesehen, weil die Darstellung im "Focus" fast alle Merkmale des Gies-Adlers übernommen habe und es sich daher um eine unfreie Bearbeitung handele; auch die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen, insbesondere das Zitatrecht, führten nicht zu einem anderen Ergebnis. Dennoch hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen, weil im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung die Pressefreiheit stärker ins Gewicht falle als das durch das Urheberrecht geschützte geistige Eigentum.
Dem ist der Bundesgerichtshof in seinem gestern verkündeten Urteil nur im Ergebnis gefolgt. Er hat deutlich gemacht, daß das Urheberrechtsgesetz grundsätzlich eine abschließende Regelung enthält, die bereits auf einer Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen – hier das geistige Eigentum, dort das Informationsinteresse der Allgemeinheit und die Pressefreiheit – beruht. Im Rahmen der Auslegung der urheberrechtlichen Bestimmungen, etwa bei der Abgrenzung der unfreien Bearbeitung von der freien Benutzung sowie bei den Schrankenbestimmungen, könne dem Informationsinteresse und der Pressefreiheit hinreichend Rechnung getragen werden. Kommt der Richter jedoch zu dem Schluß, das Gesetz erlaube keine mit der Verfassung im Einklang stehende Auslegung, müsse er die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch deutlich gemacht, daß im Streitfall kein solcher Konflikt bestand. Denn die Darstellung im "Focus" verletzte nicht das Urheberrecht am Gies-Adler. Nach § 24 Abs. 1 UrhG liegt eine freie Benutzung immer dann vor, wenn das ältere Werk als Anregung für das Werkschaffen eines anderen Urhebers verwendet wird. Dabei muß das neuere Werk allerdings zu dem älteren Werk einen deutlichen Abstand halten. Bei der Parodie oder bei der Karikatur, um die es sich hier am ehesten handelt, kann ein solcher deutlicher Abstand auch dann gegeben sein, wenn das neuere Werk markante Merkmale des älteren Werkes übernimmt.
Der Bundesgerichtshof ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß es sich bei der Adlerdarstellung im "Focus" um eine solche antithematische Benutzung des Gies-Adlers im Stile einer Karikatur handelt. Das Original bleibe zwar trotz der Veränderungen erkennbar. Dies sei jedoch gerade der Sinn der Karikatur. Entscheidend sei, daß der würdige, eher etwas träge, stets aber gutmütig wirkende Gies-Adler, der im Volksmund als "fette Henne" bezeichnet wird, in einen gierigen, bösartigen Raubvogel verwandelt werde, der trotz der gewollten Übereinstimmungen mit dem Original wenig gemein habe. Es sei auch nicht zu beanstanden, daß der "Focus" nicht irgendeine Darstellung des Bundesadlers, sondern gerade den urheberrechtlich geschützten Gies-Adler zur Grundlage der karikierenden Wiedergabe gemacht habe. Denn diese Darstellung des Bundesadlers sei nicht ein beliebiges Kunstwerk, sondern diene als Symbol des Parlaments, mit dessen Rolle als Gesetzgeber sich der Artikel kritisch auseinandersetze.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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