Der Bundesgerichtshof

1. Strafsenat: Urteil des Bundesgerichtshofs zum "Westpark-Mord"

Ausgabejahr 2001
Erscheinungsdatum 09.08.2001

Nr. 60/2001

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft ein Urteil des Landgerichts München I aufgehoben, mit dem der Angeklagte zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt worden ist. Die Revision des Angeklagten hat der Senat verworfen. Der damals 18 1/2 Jahre alte Angeklagte tötete im Oktober 1993 im "Westpark" in München einen ihm bis dahin völlig unbekannten Mann, der ihm zufällig über den Weg lief, mit mehreren Messerstichen. Er wollte sich dadurch nach einem Streit mit dem Vater seiner damaligen Freundin abreagieren und irgendein Menschenleben vernichten.

In einem ersten Verfahren im Jahr 1999 - der erst spät in Verdacht geratene Angeklagte war zwischenzeitlich nach Kroatien abgeschoben worden - hatte ihn deswegen das Landgericht München I wegen Mordes zu 6 Jahren und 10 Monaten Jugendstrafe verurteilt, wobei die Jugendkammer frühere, teilweise verbüßte Jugendstrafen angerechnet hatte. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten, der die Tat bestreitet, hat der Bundesgerichtshof am 14. Dezember 1999 als unbegründet verworfen; gleichzeitig hat er auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine härtere Bestrafung erstrebte, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. Damit war die Verurteilung wegen Mordes rechtskräftig. Über die Rechtsfolgen mußte vor dem Landgericht neu verhandelt werden. Dabei war u.a. nach § 105 Jugendgerichtsgesetz zu entscheiden, ob auf den zur Tatzeit 18, aber noch nicht 21 Jahre alten Angeklagten als Heranwachsenden Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Diese Frage ist bedeutsam, weil im Jugendstrafrecht die Höchststrafe 10 Jahre beträgt, im Erwachsenenstrafrecht dagegen für einen Mord eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Eine andere Jugendkammer des Landgerichts München I hat daraufhin - nach Beratung durch einen Sachverständigen - erneut festgestellt, daß der Angeklagte zur Zeit der Tat in seiner geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichgestanden habe und mithin Jugendstrafrecht anwendbar sei. Nunmehr wurde er jedoch zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt. Auch gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte, der eine niedrigere Strafe erstrebt, als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft will erreichen, daß der Angeklagte nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird.

Jugendstrafrecht ist - wie der Senat bereits 1968 entschieden hat (BGHSt 22, 241) - nicht anwendbar, wenn die geistige Entwicklung des Heranwachsenden zur Tatzeit bereits abgeschlossen war und eine Nachreife ausnahmsweise auszuschließen ist. In diesem Zusammenhang hatte das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte bereits vor dem Mord mehrfach eine Lust, andere zu quälen, und eine massive Gewaltbereitschaft offenbart hatte. Er ist deswegen bereits mehrfach - u.a. wegen versuchten Totschlags - verurteilt worden. Nach dem Mord war es u.a. Anfang 1996 in der Haft bei der Essenausgabe zu einer brutalen Körperverletzung an einem Mitgefangenen und einem Bediensteten gekommen, Ende 1996 zu einer Körperverletzung in Kroatien sowie 1999/2000 - wieder in der Haft - zu weiteren Drohungen, aggressivem Verhalten und in einem Fall zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit gleich fünf Justizvollzugsbeamten. Trotz dieser Vorfälle vermochte das Landgericht nicht festzustellen, daß bereits im Zeitpunkt der Tat unbehebbare Reiferückstände vorlagen.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Urteil vom 9. August 2001 die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen und auf die Revision der Staatsanwaltschaft die angefochtene Entscheidung des Landgerichts wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung über den Rechtsfolgenausspruch erneut zurückverwiesen. Der Grund für die Aufhebung war, daß das Landgericht hinsichtlich eines Vorfalls aus dem Jahre 1994 (der Angeklagte soll damals im Bezirkskrankenhaus einen Mitpatienten brutal zusammengeschlagen haben) durch Verlesung einer Urkunde zwar Beweis erhoben, den Vorfall im Urteil aber nicht gewürdigt hat. Dies stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur erschöpfenden Beweiswürdigung dar. Der Senat vermochte nicht auszuschließen, daß die Entscheidung über die Behebbarkeit der Reiferückstände anders ausgefallen wäre, wenn das Landgericht bei seiner Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten auch diesen Vorfall berücksichtigt hätte.

Eine andere Jugendkammer des Landgerichts München I wird daher unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Hinzuziehung eines Sachverständigen erneut überprüfen müssen, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht Anwendung findet und welche Strafe für den rechtskräftig festgestellten Mord zu verhängen ist.

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Ergänzende Dokumente

Urteil des 1. Strafsenats vom 9.8.2001 - 1 StR 211/01 -