Der Bundesgerichtshof

3. Strafsenat: Kostenloser Dolmetscher und Pflichtverteidigung für nicht Deutsch sprechende Beschuldigte ?

Ausgabejahr 2000
Erscheinungsdatum 22.11.2000

Nr. 88/2000

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluß vom 26. Oktober 2000 zu der Frage Stellung genommen, in welchem Umfang ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Beschuldigter im Strafverfahren Anspruch auf kostenfreie Zuziehung eines Dolmetschers hat und ob ihm stets ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte das Amtsgericht Delmenhorst zwei des Deutschen nicht mächtige, mittellose Asylbewerber wegen Ladendiebstählen nach Jugendstrafrecht zu je zwei Wochen Dauerarrest verurteilt. Mit ihren Revisionen rügten die Angeklagten, daß sie vor dem Amtsgericht nicht von Rechtsanwälten verteidigt worden seien; dies sei unter anderem schon wegen ihrer fehlenden Deutschkenntnisse erforderlich gewesen. Das für die Entscheidung über die Revisionen zuständige Oberlandesgericht Oldenburg hält diese Beanstandung für unbegründet. Dagegen hatte unter anderem das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden, daß fehlende Deutschkenntnisse eines Beschuldigten die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich machen, weil nur auf diesem Wege die Erstattung von Dolmetscherkosten für Gespräche zwischen Beschuldigtem und Anwalt gesichert sei. Zur Entscheidung über die divergierenden Rechtsmeinungen hat das Oberlandesgericht Oldenburg die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Der 3. Strafsenat stellt nunmehr klar, daß das in Art. 6 Abs. 3 lit. e der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) jedem Beschuldigten, der die Gerichtssprache nicht versteht, eingeräumte Recht, unentgeltlich einen Dolmetscher beizuziehen, auch für die Abgabe und Entgegennahme verfahrensrelevanter Erklärungen außerhalb gerichtlich oder durch Ermittlungsbehörden anberaumter Termine gilt. Es erstreckt sich auch auf die Verteidigung vorbereitende Gespräche des Beschuldigten mit einem Rechtsanwalt und besteht unabhängig davon, ob der Beschuldigte finanziell in der Lage wäre, einen Dolmetscher aus eigener Tasche zu bezahlen. Entsprechend sind ihm sämtliche entstehenden notwendigen Dolmetscherkosten zu erstatten.

Zwar sieht das deutsche Gerichtskostenrecht nur im Falle der Pflichtverteidigung eine Erstattung notwendiger Auslagen des Verteidigers vor, zu denen auch Kosten für die Zuziehung eines Dolmetschers zu Gesprächen zwischen Beschuldigtem und Verteidiger zählen können. Dies zwingt jedoch nicht dazu, einem des Deutschen nicht mächtigen Beschuldigten auch dann einen Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn im übrigen die hierfür in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, nur um auf diesem Wege die Möglichkeit für die Erstattung von Dolmetscherkosten zu eröffnen und damit der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK Rechnung zu tragen. Denn der Kostenerstattungsanspruch des Beschuldigten ist direkt aus der als unmittelbares Bundesrecht geltenden EMRK abzuleiten und durch eine ergänzende Auslegung des deutschen Gerichtskostenrechts umzusetzen.

Damit ist auch einem des Deutschen nicht kundigen Beschuldigten ein Verteidiger nur beizuordnen, wenn die in der Strafprozeßordnung für die Pflichtverteidigung allgemein geregelten Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei können allerdings bei im übrigen gleicher Sachlage mangelnde Deutschkenntnisse eines Beschuldigten die Beiordnung eines Verteidigers eher geboten erscheinen lassen als dies bei einem des Deutschen mächtigen Beschuldigten der Fall wäre.

Der Bundesgerichtshof hat damit im Ergebnis die Rechtsansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts Oldenburg bestätigt.

Beschluß vom 26. Oktober 2000 – 3 StR 6/00

Karlsruhe, 22. November 2000

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Ergänzende Dokumente

Beschluss des 3. Strafsenats vom 26.10.2000 - 3 StR 6/00 -