2. Strafsenat: Verfahrenseinstellung wegen überlanger Verfahrensdauer
Ausgabejahr 2000
Erscheinungsdatum 25.10.2000
Nr. 77/2000
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2000 ein Urteil des Landgerichts Köln im Verfahren gegen einen bekannten früheren Spitzensportler wegen Betrugs auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben und die Sache an ein anderes Landgericht zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte das Verfahren im Oktober 1999 nach fast einjähriger Hauptverhandlung ohne Entscheidung in der Sache eingestellt, weil aufgrund langdauernder, vom Angeklagten nicht zu vertretender Verfahrensverzögerungen im Bereich der Justiz ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliege und deshalb ein Verfahrenshindernis vorliege.
Dem Verfahren liegt der Vorwurf zugrunde, der Angeklagte habe als Vorstand verschiedener miteinander verflochtener, von ihm beherrschter Gesellschaften in den Jahren 1984 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen Kapitalanleger beim Erwerb von Immobilien durch unzutreffende Behauptungen getäuscht und betrogen.
Nach über siebenjährigen Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei wurde erst im August 1994 Anklage erhoben; das Hauptverfahren wurde ohne weitere Ermittlungen im November 1994 eröffnet. Wegen Überlastung der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer konnte die Hauptverhandlung erst im Januar 1999 beginnen; nach 44 Verhandlungstagen brach das Landgericht die Verhandlung ohne Ergebnis in der Sache ab.
Der 2. Strafsenat hat die Möglichkeit eines Verfahrenshindernisses aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausdrücklich anerkannt und entschieden, daß ein solches Verfahrenshindernis in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen, wenn nach einer umfassenden Gesamtwürdigung des Verfahrensablaufs, des Tatvorwurfs, des bisher festgestellten schuldhaften Verhaltens des Angeklagten und der voraussichtlichen weiteren Verfahrensdauer eine strafmildernde Berücksichtigung nicht mehr in Betracht kommt; es ist dann vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu prüfen.
Eine solche Prüfung setzt aber voraus, daß das Tatgericht alle seiner Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen im einzelnen darlegt und in nachprüfbarer Weise erörtert. Die Anerkennung eines Verfahrenshindernisses rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung darf nicht dazu führen, daß Gerichte ein Verfahren, sobald es in einem mit dem Rechtsstaatsgrundsatz nicht mehr vereinbaren Umfang verzögert worden ist, durch eine nicht begründete und daher nicht überprüfbare Entscheidung abbrechen können.
An solchen nachprüfbaren Feststellungen fehlte es im aufgehobenen Urteil des Landgerichts. Allein auf der Grundlage des Akteninhalts konnte der 2. Strafsenat zwar feststellen, daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vorlag, nicht aber, ob bereits der Extremfall des Eintritts eines Verfahrenshindernisses eingetreten war; vielmehr kam hier nach Aktenlage eine nur strafmildernde Berücksichtigung durchaus noch in Betracht.
Da es im Verfahren zu öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht über die Verantwortung an der jahrelangen Verfahrensverzögerung gekommen war, hat der 2. Strafsenat die Sache an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen.
Karlsruhe, den 25. Oktober 2000
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