I. Zivilsenat: Stillegung eines Werkes auf Klage eines Wettbewerbers wegen Verstoßes gegen Immissionsschutzvorschriften?
Ausgabejahr 2000
Erscheinungsdatum 12.05.2000
Nr. 33/2000
Der u.a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hatte über einen Streit zwischen konkurrierenden Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie zu entscheiden, in dem die Klägerinnen mit einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage (§ 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG) u.a. verlangt haben, daß ein Werk zur Herstellung von Span- und Faserplatten nicht betrieben wird, solange die Emissionswerte bestimmter Abgase die Grenzwerte der Verordnung über Großfeuerungsanlagen überschreiten. Nach einem Hilfsantrag sollte der Vertrieb der so hergestellten Produkte verboten werden, wenn dabei die marktüblichen Verkaufspreise unterschritten würden.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Grenzwertüberschreitung bei den Abgasemissionen unterstellt. Ob ein solches Verhalten wettbewerbsrechtlich unlauter sei, könne nur aufgrund einer Bewertung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden. Die zuständigen Ministerien und örtlich zuständigen Behörden hätten eine Besprechung mit den Beklagten abgehalten, deren Ergebnis als Stillhalteabkommen zu qualifizieren sei. Gegen die Zusage bestimmter Maßnahmen zur Verbesserung des Immissionsschutzes hätten die Behörden vorerst im Interesse einer einvernehmlichen Regelung des komplexen Problems von Zwangsmaßnahmen abgesehen. Der weitere Betrieb des Werkes sei demgemäß nicht schon dann wettbewerbswidrig, wenn die Beklagten die Grenzwerte beim Schadstoffausstoß vorübergehend nicht uneingeschränkt einhielten.
Der Bundesgerichtshof hat die Revision in einer Grundsatzentscheidung zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Stillegung des Werkes bestehe schon deshalb nicht, weil das Betreiben des Werkes als solches noch kein Wettbewerbsverhalten im geschäftlichen Verkehr sei. Die Klägerinnen hätten aber auch keinen wettbewerbsrechtlichen Anspruch darauf, daß die Beklagten Span- und Faserplatten nicht unter den marktüblichen Preisen vertrieben, wenn diese Produkte unter Verstoß gegen Immissionsschutzvorschriften hergestellt worden seien. Zweck der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche aus § 1 UWG sei es, dem unmittelbar betroffenen Wettbewerber zu ermöglichen, gegen unlautere Mittel und Methoden im Wettbewerb selbst vorzugehen und sich damit zugleich gegen Wettbewerbsverzerrungen und Schädigungen durch unlauteren Wettbewerb zu wehren. Dieser beschränkte Schutzzweck schließe es aus, daß die im Vorfeld des Wettbewerbshandelns liegenden Verstöße gegen Immissionsschutzvorschriften, die nicht, auch nicht sekundär, eine wettbewerbsregelnde Funktion haben, mit wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen verfolgt werden könnten. Dies gelte auch dann, wenn diese Verstöße (insbesondere bei entsprechenden Kosteneinsparungen des Verletzers) erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbschancen der Mitbewerber hätten.
Mit Hilfe wettbewerbsrechtlicher Ansprüche könnte bei Verstößen gegen Immissionsschutzvorschriften ohnehin keine gleiche rechtliche Ausgangslage im Wettbewerb erreicht werden, weil mit einem Anspruch aus § 1 UWG - auch mit Rücksicht auf die Warenverkehrsfreiheit in der Europäischen Union - jedenfalls grundsätzlich kein Verbot des Vertriebs von Waren erreicht werden könne, die im Ausland entsprechend dem dort geltenden Recht - aber nach möglicherweise niedrigeren Standards als im Inland - gefertigt worden seien.
Urteil vom 11. Mai 2000 - I ZR 28/98
Karlsruhe, den 12. Mai 2000
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